Das zerstörte Leben des Wes Trench. Roman.
Tom Cooper, Ullstein 2016

Das zerstörte Leben des Wes Trench

Wie T. C. Boyle zu seinen besten Zeiten

Nachdem der Hurrikan Katrina im Jahr 2005 die Südstaaten der USA verwüstet hat, ist im "Bayou", dem sumpfigen, inselreichen Mündungsdelta des Mississippi, ohnehin nichts mehr wie vorher, doch fünf Jahre später folgte der Blowout der Ölplattform "Deepwater Horizon" und gab der Region den Rest. Der inzwischen volljährige Wes Trench hatte durch den Sturm die Mutter verloren, weshalb die Fangfahrten mit dem Vater, der - wie so viele in der Gegend - Shrimpfischer ist, unter enormer Belastung stehen, denn die Mutter wollte vor dem Sturm flüchten, während der Vater darauf beharrte, im Örtchen Jeanette zu bleiben. Außerdem gehen die Fangmengen zurück - und keiner will mehr die möglicherweise verseuchten Shrimps aus dem Delta essen. Aus der Belastung wird schließlich die Trennung: Wes Trench heuert beim einarmigen, medikamentensüchtigen Lindquist an, der zwar auch Shrimps fängt, in der Hauptsache aber auf der Suche nach dem legendären Schatz des Freibeuters Jean Laffite ist. Doch Lindquist kommt bei seinen Touren mit dem Metalldetektor jener Insel zu nahe, auf der die aggressiven Zwillingsbrüder Reginald und Victor Toup ihre Marihuanaplantage betreiben.
Ergänzt wird das Romanpersonal um einen unsympathischen Menschen namens Grimes, der selbst aus der Gegend stammt, diese jedoch hasst - und nun im Namen von BP versuchen muss, den Fischern niedrige Abfindungen aufzuschwatzen, damit sie von einer Klage absehen. Und außerdem sind da noch zwei Abenteurer namens Hanson und Cosgrove, die sich im Rahmen einer Strafmaßnahme kennenlernen, Wind von der Haschinsel der Toup-Brüder bekommen und sich auf die Suche nach ihr machen.
Wir befinden uns im Sommer des Jahres 2011.

Der Roman mit dem etwas unglücklichen und inhaltlich auch nicht ganz stimmigen deutschen Titel beginnt damit, dass dem behinderten Lindquist die teure Armprothese gestohlen wird. Relativ gemächlich, aber umso eindringlicher entwickelt sich ein Beziehungsgeflecht, das atmosphärisch ungeheuer dicht ist, und das von der Hitze, Feuchtigkeit, Lebendigkeit und Bedrohlichkeit der Region zusammengehalten wird. Es ist heiß und anstrengend, alle schwitzen fortwährend, ständig krabbeln ihnen irgendwelche Viecher über den Weg - von den omnipräsenten Moskitos über handgroße Spinnen bis zum Zwei-Meter-Alligator -, und dennoch ist diese eigenartige Gegend ihr Lebensinhalt, das Fundament ihres Seins, geliebt und gehasst zugleich, denn so fragil wie das ölpestbedrohte Biotop sind auch die menschlichen Abhängigkeiten. Während sich die Titelfigur Wes Trench sicher ist, das eigene Leben auch dort zu verbringen, verbringen zu wollen, träumen die meisten anderen Figuren davon, so schnell wie möglich wegzukommen. Ob das mittelbare Ziel darin besteht, den legendären Schatz, die Cannabis-Plantage oder den Fang des Lebens zu finden, oder einfach nur, möglichst rasch alle Fischer auf der Abfindungsliste abzuhaken, spielt dabei letztlich keine Rolle. Die wachsende Lebensfeindlichkeit kriecht aus jeder und in jede Ritze. Und schließlich in das Gehirn des Lesers.

"Das zerstörte Leben des Wes Trench" erinnert nach dem - wie erwähnt etwas gemächlichen - Einstieg an T. C. Boyle zu seinen besten Zeiten. Lakonisch, ungeheuer rasant, eindringlich, sehr spannend, mit einem exzellenten sprachlichen Timing und mit einem guten Gefühl für Dramaturgie konstruiert Tom Cooper die Handlungsstränge, die diese Mischung aus Umweltroman, Regionalkrimi (im sehr weiten Sinn), Milieustudie, Underdog-Saga und Entwicklungsgeschichte in einen recht fulminanten Showdown münden lassen, der wohltuenderweise nicht alle Fragen beantwortet. Die größte Stärke dieses äußerst lesenswerten Romans besteht jedoch in der plastischen Vermittlung der umgebenden Situation. Großartig!

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NACHTTANKSTELLE.
ROMAN.
rororo, 28. August 2015


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